Sex, drugs and rock’n’roll

Sex, drugs and rock’n’roll - Moderne und mitreißende Inszenierung von Homers Irrfahrten des Odysseus des Literatur- und Theaterkurses am Jakobus-Theater in Karlsruhe

Moderne und mitreißende Inszenierung von Homers Irrfahrten des Odysseus des Literatur- und Theaterkurses am Jakobus-Theater in Karlsruhe

Am 12. und 13. Juni 2018 spielte der Literatur- und Theaterkurs des WHG bereits zum sechsten Mal am Jakobus-Theater in Karlsruhe und erwies sich mit seiner fulminanten Inszenierung der Irrfahrten des Odysseus erneut dieser professionellen Bühne als würdig. Kursleiter Carsten Thein begrüßte zu Beginn ein volles Haus und wies auf die Regiearbeit der Schüler hin, die traditionell mehrere Szenen eigenständig inszenierten. Dafür bot Homers weltberühmtes Epos in seiner Episodenhaftigkeit die perfekte Plattform – die einzelnen Stationen Odysseus‘, dem es nach seinem Sieg über Troja erst nach 20 schicksalshaften Jahren gelingt, heimzukehren, wurden von den 18 Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufe 1 dramaturgisch erarbeitet und mithilfe verschiedener Theatergenres (Hörspiel, Schwarzes Theater, Schattentheater, Musical und Ballett) originell auf die Bühne gebracht.

Bereits der Auftakt zeigt, mit wie viel Witz und Kreativität inszeniert wurde, wenn zwei Schülerinnen (Leonie Vogel, Jule Schulz), ausgestattet mit Audioguide und Fragenkatalog, sich den antiken Stoff in einem Museum aneignen sollen. Die Museumspädagogik wird als verstaubt und untauglich entlarvt und auch Amazons omnipotente Alexa kapituliert im Angesicht griechischer Phonetik. Die alten Griechen müssen es also höchstpersönlich richten: Drei Museumsexponate (Alicia Spangenberg, Annika Hinzmann, Julia Bendel) erwachen zum Leben und führen Schülerinnen und Publikum in Homers Heldensaga ein.

Die Zuschauer werden so ins antike Griechenland versetzt und finden sich zunächst in Odysseus‘ Heimat Ithaka wieder, wo seine Frau Penelope (taff gespielt von Lena Schorpp) und seine Amme Euryklea (herausragend: Dilara Akyildiz) auf die Rückkehr des Siegreichen warten. Zahlreiche Freier umringen sie – eine bedrohliche Allmacht in schwarzen Anzügen. Deren Anführer Eurymachos (herrlich fies: Lennart Kiehne) vermag Penelope nicht länger zu schützen und so wandern Hoffnung und Fokus zu Odysseus (bemerkenswert facettenreich und authentisch gespielt von Konstantin Mues): Holzsäulen, an denen die Freier eben noch gelehnt hatten, wandeln sich zu Wrackteilen, mit denen der schiffbrüchige Held am Ende seines Abenteuers als letzter Überlebender einer einst mächtigen Flotte an die Küste von Scheria gespült wird – ein Vorgeschmack auf ein intelligent angelegtes Bühnenbild, das in seiner Kreativität und Wandelbarkeit immer wieder einen atmosphärische Rahmen für die einzelnen Szenen schafft. Die Königstochter Nausikaa (bezaubernd: Sabrina Semmle), ihre Dienerin Hamateta (Alicia Spangenberg) und der Herrscher selbst nehmen sich dem Verunglückten an. Sprachbarrieren werden überwunden, Mitgefühl und Gastfreundlichkeit triumphieren und Odysseus findet hier geduldige Zuhörer, die seine Irrfahrt noch einmal durchleben und -leiden (herrlich komödiantisch: Julian Fust als König Alkinoos).

Und diese antiken Abenteuer werden bemerkenswert modern erzählt, die Mittel des Theaters voll ausgeschöpft:
Statt auf eine opulente Kriegsausstaffierung zu setzen, wird in Brecht‘scher Manier das Land der Lotophagen einzig mit einem frechen „ero“ – „bert“ auf den T-Shirts zweier Gefährten Odysseus‘ (Wynona Schmidt, Luisa Gabele) in Beschlag genommen. Schwarzlicht sorgt für eine außergewöhnliche Szenerie, wenn der Kampf mit Polyphem im Höhlendunkeln mit grell-bunt leuchtenden Masken dargestellt wird. Odysseus‘ Aufenthalt im Totenreich ist wirkungsvoll als Hörspiel umgesetzt und ein Schattenspiel zeigt effektvoll das Geschehen an Bord, als Odysseus‘ Mannschaft die Winde des Äolus freilässt.
Immer wieder wird mit der Illusion gespielt, das Publikum mehrfach „bespielt“ und gar zur muhenden Kuhherde degradiert, die sich vor den hungrigen Schiffbrüchigen (Katharina Kühn, Lasse Grabow) auf Helios‘ Insel fürchten muss. Einen erwischt es dann doch - der stellvertretende Schulleiter Thomas Kress muss auf die Bühne und Plastos‘ Schimpftirade standhalten (wunderbar lässig und frech: Franziska Hiß).
Frech-frivol kommen auch die Szenen auf der Insel Aiaia daher, wo sich die berauschten Gefährten (großartiges Duett: Franziska Hiß und Jan Funk) wild gebärden, ganz im Bann der Zauberin Circe (charmant gespielt von Erëza Sunguri), die mit ihren Gefährtinnen – stilecht im Bunnykostüm – selbstvergessen tanzt, so dass Odysseus Sehen und Hören vergeht. Ein ergreifendes Duett der beiden markiert Höhepunkt und Ende ihrer Begegnung.

Odysseus‘ Irrfahrt ist allerdings noch lange nicht zu Ende: Fantasievolle Konstrukte aus beleuchteten, transparenten Regenschirmen erscheinen auf der Bühne, in deren Plastiktentakel Odysseus und seine Mannschaft sich zu verfangen drohen und denen schließlich, in Gestalt von Balletttänzerinnen, drei Sirenen entsteigen. Geisterhaft schweben sie über die Bühne und betören Gefährten und Publikum. Aufwendige Lichteinstellungen – den engagierten Jungs der Technik-AG „The Crew“ unter Leitung von Stefan Zimmer sei Dank – schaffen eine mystische Atmosphäre und setzen auch den Hauptdarsteller Konstantin Mues perfekt in Szene, der im anschließenden Kampf gegen das Seeungeheuer Scylla einmal mehr zeigen kann, wie differenziert er den tragischen Helden zu spielen vermag.

„Die Reise ist nur glücklich, wenn sie endet, wo sie begonnen hat“, orakelt König Alkinoos, als Odysseus‘ Erzählung endet und dieser von den Göttern begünstigt endlich heimkehren kann. Auf Ithaka, wo sich Penelope immer noch im Würgegriff der Freier befindet, erkennt zunächst lediglich die Amme Euryklea den als Bettler verkleideten Heimkehrer. Dieser offenbart sich schließlich auf einem von Penelope initiierten Bogenschießwettbewerb. Der griechische Weingott Dionysos hätte seinen Spaß an „Pennys Abschiedsparty“ gehabt - das große Bogenschießen, das von drei Freiern (Franziska Hiß, Julia Bendel, Erëza Sunguri) aus dem Off skizziert, mit derben Sprüchen kommentiert und orgiastisch mit Chips und Bier zelebriert wird. Odysseus gewinnt und kehrt endlich zu Penelope zurück. Die Inszenierung setzt nach diesem unterhaltsamen Spektakel noch einen leisen Schlusspunkt: Circe, Nausikaa und Penelope reflektieren Odysseus‘ tragische Reise.

Und kaum setzten die Techniker den letzten Black, wurde es laut im Saal; frenetischer Applaus, begeisterte Mitschüler, Eltern und Lehrer, die es kaum glauben konnten, was die 18 Darsteller und Darstellerinnen hier unter der Leitung von Carsten Thein geleistet hatten.
Manche Eltern erkannten ihre Kinder und viele Lehrer ihre Schüler nicht wieder. Das Wahlfach Literatur und Theater bot den Jugendlichen auch dieses Jahr wieder die Chance, sich von einer anderen Seite zu zeigen. Dank gebührt hier der Schulleitung des WHG und vor allem dem Förderverein und dem Jakobus-Theater, deren Unterstützung diese spektakuläre Inszenierung erst möglich machte.

Linda Besenfelder