„Alice in Cyberland“: English Drama Group

Ein Stück über Cybermobbing, Datenschutz und Selbstdarstellung in der digitalen Welt

Vor fünf Jahren stand das Ensemble der English Drama Group unter der Leitung von Ralf Lehnert und Julia Makowiecki zum letzten Mal auf der Bühne vor Publikum. Die Pandemie zwang die bunt gemischte Theatergruppe (Klasse 6 bis K2) zu pausieren, so dass das Stück Alice in Cyberland, dessen Proben bereits 2019 begangen, erst am Donnerstag, 09. Februar 2023, uraufgeführt werden konnte. „Wir sind stolz und happy, und freuen uns vor allem, dass alle gesund sind und heute hier spielen können“, eröffnet der Spielleiter und Verfasser des Stücks, Ralf Lehnert, den Abend, und das Publikum wird Zeuge einer unterhaltsamen Inszenierung, die besonders durch die Spielfreude des Ensembles glänzt. Ein ehemaliger Schüler des WHG, Daniel Ströbel (Firma Foces Film), hält die Inszenierung professionell fest, die dank der Technik-AG unter Stefan Zimmer in bestem Licht erstrahlt.

Die moderne Adaption von Lewis Carrolls Klassiker Alice im Wunderland verlegt die Handlung ins Cyberland, wohin Alice (souverän gespielt von Alana Häuser) einem aufgebrachten weißen Kaninchen (Beatriz Spasov) folgt. Dort trifft sie auf Holly08 (authentisch gespielt von Emilia Schonowski), die von schwarz gekleideten, maskierten „Cyberbullies“ drangsaliert wird. Die Anonymität des Netzes ermöglicht der Bande angeführt von Mad Hare und March Hare (herrlich bösartig: Juliano Rummel und Julia Hertweck) gnadenlose Gehässigkeit: Ein Foto von Holly in Unterwäsche wurde hochgeladen und kursiert nun immerwährend im Netz. Alice will helfen und macht sich gemeinsam mit Holly auf die Suche nach den in den Zuckerberg-Minen gelagerten Daten. Auf ihrer abenteuerlichen Reise treffen die beiden auf allseits bekannte Größen aus der digitalen Welt: eine angeblich allwissende Alexa (Nina Schmitt) - eine moderne Sphinx, die bevorzugt mit Freundin Siri über existenzielle Fragen der Menschheit philosophiert, statt auf unpräzise Fragen zu antworten; die Red Queen, einer intriganten Influencerin (grandioses Schnellsprechtalent: Meryl Kwamen), die sich im Wettstreit mit der erfolgreichen Youtuberin Duchess (Sude Tuncer) befindet. Ihre „Challenges for Fame“ könnten nicht schwachsinniger sein, ziehen aber das Publikum so in den Bann, dass dieses lautstark nach einer „Banana-Sprite-Challenge“ verlangt, für dessen Durchführung spontan der Schulleiter Herr Dornblüth auserwählt wird, der erneut sein Talent zur Improvisation zeigt und gekonnt die Zuschauer als Follower gewinnt. Unterstützung erhalten Alice und Holly von der „LOL-Katze“ (Grinsekatze) (lässig gespielt von Emily Weber) und dem Firefox (Elisabeth Supp), der sich schockiert zeigt ob der Naivität der Mädchen, die ungeschützt im Netz unterwegs sind. Auf dem Zuckerberg treffen sie schließlich auf King Mark (Soey-Joan Hurst), dem die Daten-Minen gehören und der Hollys darin befindliches Foto zunächst nur gegen Bitcoins freigeben will. Was also tun? Das Publikum weiß Rat und skandiert laut „Alexa“, die allerdings schon Feierabend gemacht hat, und menschlich emotional reagiert, da ihre Gefühle von den Benutzern wie so häufig ignoriert werden - das Leben als KI ist nicht immer einfach. Einen Rat hat sie dennoch: King Mark mit dem Datenschutzverordnungsgesetz drohen. Und siehe da, Holly findet ihr Foto. Und auch Anonymous, ein tragischer Zeitgenosse und Weggefährte der Mädchen, erlangt wieder seine verlorene (Online-) Identität, zieht sich die Papiertüte vom Kopf und entpuppt sich als die bekannte Fitness-Influencerin Pamela Reiff (Letizia La Rocca), die sogleich die Zuschauer sporteln lässt und diese mit ihrer Performance wortwörtlich vom Hocker reißt.
Gegen Ende sorgt noch ein „Tweet“, den die Grinsekatze beim Jagen erwischt, für Verwirrung – Alices Schwester Tara sei verantwortlich für Hollys Foto-Schlammassel - doch Alice vertraut auf ihr analoges Gefühl und stellt den Wahrheitsgehalt des digitalen Gezwitschers in Frage. Sie kommt der Red Queen und den Cyberbullies auf die Spur und beweist Taras Unschuld. Nachdem sie einen beeindruckenden Nahkampf in Zeitlupentempo und ein Rätsel mithilfe der WHG-eigenen Schülermedienmentoren gelöst haben, rufen Alice und ihre Freunde zum Finale „We did it“ und tanzen mit dem gesamten Ensemble zu George Ezras lebensfrohen Song „Green green gras“ über die Bühne.

Eine mitreißende Inszenierung, die so manche unserer digitalen Angewohnheiten ad absurdum führt und zeigt, dass letztendlich Empathie, Zivilcourage und Nächstenliebe auch und gerade in unserer digitalisierten Welt unabdingbar sind, um das Menschliche zu bewahren.

Linda Besenfelder