Büchners „Woyzeck“ in einer Inszenierung des Kreilos-Theaters

Büchners „Woyzeck“ in einer Inszenierung des Kreilos-Theaters

Für alle Deutschkurse der K2 wurde am 17.11.23 der Musiksaal zum Spielort des Dramas „Woyzeck“ von Georg Büchner durch das Kreilos-Theater. Die Schülerinnen und Schüler erlebten eine siebzigminütige, durchdachte, spannende und fesselnde Inszenierung, bei der der Schauspieler Rouven Honnef allein als Franz Woyzeck auf der Bühne agierte, während die ihn umgebenden Personen als Puppen dargestellt wurden. Ihnen verlieh der Schauspieler durch verschiedene Stimmen ein fast unheimliches Eigenleben. Die Puppenfiguren wurden nicht als bloße Requisiten behandelt, sondern wurden durch die geschickte Handhabung Honnefs zu „lebendigen“ Charakteren, die die verschiedenen Szenen mit beeindruckender Vielseitigkeit begleiteten.

Die Phase, in der Büchner sein Stationendrama niederschrieb, fällt in die Epoche des sogenannten „Vormärz“. Diese Epoche dauerte vom Beginn des Wiener Kongresses im Jahr 1815 bis zur Märzrevolution im Jahr 1848 an und war geprägt von weitgreifender gesellschaftlicher Verelendung. Diese Verelendung spielt auch in Büchners Dramenfragment eine zentrale Rolle. Denn so kann er durch das Aufzeigen der Ungerechtigkeiten in der sozialen Hierarchie seine Kritik am damaligen Gesellschaftssystem üben. Als Schriftsteller möchte er dadurch Bewegung in dieses erstarrte System der „Restauration“ bringen, indem er selbst in seinen Schriften Probleme der einfachen Bevölkerung, wie die Massenverarmung, fachsprachlich „Pauperismus“ genannt, thematisiert. Auch in seinem Werk „Woyzeck“ rückt Büchner diese Thematik der sozialen Ungerechtigkeit und das Leiden eines einfachen Mannes, in den Fokus.

Zusammen mit dem sympathischen Schauspieler Rouven Honnef, der kurze Zeit später in die Rolle der Hauptperson des Dramas, Franz Woyzeck, schlüpfte, bauten einige Schülerinnen und Schüler der K2 das Bühnenszenario auf, welches von einem Drahtzaun zum Publikum abgetrennt war. Die Bühne bot einen düsteren und wüsten Eindruck, denn der Boden war übersät mit durcheinanderliegenden Kleidungsstücken, Schuhen, Stofftieren und Müll. Hier lebt der einfache Soldat Woyzeck wie ein Tier, kriecht immer wieder auf allen Vieren herum, trinkt wie ein Tier aus einem Napf und löffelt zeitlich genau festgelegt immer wieder Erbsen aus einem Blechteller.

Zu seiner Inszenierung schreibt Thorsten Kreilos selbst: „Ungefähr 30 Jahre nach dem Tod Büchners wurden die ersten Menschenschauen abgehalten, Menschen wie Tiere in Käfigen gehalten und ausgestellt. (…) Woyzeck begegnet uns in diesem Sinne als Ausstellungsstück, als Laborratte, als geschlagener Straßenköter. Mit fiebrigen Augen durchwühlt er Kleiderberge, die textilen Überreste von Menschen (…) Diese Leichenkleider/Kleiderleichen sind auch die inneren Figuren der Geschichte Woyzecks.“ Ein Wortspiel beendet den Inszenierungsansatz, indem betont wird, dass das Stück „von einem MenschenSchauSpieler gespielt“ werde.

Deutlich wird erkennbar, dass Franz Woyzeck die permanenten Herabwürdigungen durch die ihm in der gesellschaftlichen Hierarchie überlegenen Personen zu schaffen machen. Das Drama wird zwar als Ein- Mann- Stück dargeboten, aber alle wichtigen Personen sind als Puppen anwesend, die nach und nach plötzlich aus dem Chaos am Boden auftauchen. Diese Puppen werden von Woyzeck alias Honnef zum Leben erweckt, indem er ihnen verschiedene Stimmen leiht. Wie in einem Alptraum muss Woyzeck die entwürdigenden Erfahrungen durch Personen wie den Hauptmann, den Doktor oder den Tambourmajor nochmals durchleben.

Alle Figuren sind von Gitterzäunen umzingelt. So erscheint nicht bloß Woyzeck als Marionette, sondern es wird ironischerweise die Unfreiheit aller Personen erschütternd betont. Diese Gefangensein in ihren festen gesellschaftlichen Rollen ist den Figuren allerdings selbst nicht bewusst.

Im Verlauf des Stücks erschwert jedoch die Darstellung durch einen Schauspieler in allen Rollen oftmals das Nachvollziehen der Dialoge. Bei allem Respekt für die beeindruckende Schauspielleistung Honnefs wäre hierbei ein Zusammenspiel mit weiteren „echten“ Schauspielern hilfreich gewesen. Gerade wenn es zur Konversation zwischen mehreren Personen gleichzeitig kommt, wünscht man sich als Zuschauer doch einen Kollegen oder eine Kollegin an der Seite Honnefs. Vor allem gegen Ende des auf den Mord Woyzecks an seiner Geliebten Marie hinzielenden Stücks wird dieser Umstand zur Bewährungsprobe für das Publikum. Denn es erfordert durchaus Konzentration, den schnellen Handlungswechseln zu folgen und dabei den Überblick nicht zu verlieren.

Positiv kann hervorgehoben werden, dass Rouven Honnef es souverän gelungen ist, Büchners „versteckten“ Zynismus und die werkimmanente Ironie durch spitze Übertreibungen, z.B. in Stimmlage, Mimik und Gestik, zu unterstreichen. Dadurch wurde das Publikum an einigen Stellen zum Schmunzeln oder gar zum Lachen gebracht- trotz der insgesamt düsteren Atmosphäre.

Insgesamt kam die aussichtslose und depressiv- „verrückte“ Welt Woyzecks durch das ausdrucksstarke Spiel Honnefs, der ganz in seine Rollen vertieft war, deutlich zum Vorschein.

Diese Inszenierung ist durchaus sehenswert und kann das sogenannte Sternchenthema „Woyzeck“ des Leistungsfachs Deutsch vertiefen, da hier ein weiterer interessanter Interpretationsansatz geliefert wird.

Zusammenstellung des Textes durch Uta Hille mit Beiträgen von Macie Enrequito, Nele Fink, Emma Gruber, Gianluca Luciani, Laura Ochs, Sofie Renger und Aaron Schlick